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Nachruf

 Wir haben Abschied nehmen müssen von einem Freund, der wie kaum ein anderer die Friedensbewegung nach 1945 prägte. 

Anbei ein „anderer“ Nachruf von Jörg Wollenberg, der in der nächsten (Juli-) Ausgabe von „Sozialismus erscheinen wird, ergänzt um einen „anderen“ Elser.

 

 

„Gegen den Strom“

Arno Klönne (1931-2015) - Widerständiger Querdenker und Grenzgänger nach 1945

von Jörg Wollenberg

Vor 70 Jahren machte sich der am 4. Juni 2015 verstorbene, damals 14-jährige Schüler Arno Klönne auf den Weg, den mit Hilfe der Eltern früh durchschauten nationalsozialistischen Jugendmythos aufzuarbeiten und vor dem „Gift der Blauen Blume“ zu warnen. Arno hatte im Krieg Kontakt zu dem verbotenen bündisch- katholischen Milieu und wurde als Trümmerjugendlicher Mitglied in der freien Jungenschaft, die sich links orientierte. Der Kontakt zu den Resten der widerständigen Nerother Wandervögel öffnete ihm den Zugang zu den abweichen- den Sub- und Gegenkulturen des NS-Jugendmilieus. So begann seine lebenslange „Fahrt ohne Ende“. Diese erste, 1951 verfasste sehr persönliche Arbeit von Arno zur Geschichte der Jugendbewegung erinnert an „Ende und Anfang“, an jene heute vergessene Jugendzeitschrift der Nachkriegszeit, die den Weg vieler konfessionell geprägter Jugendlicher - von Burkart Lutz über Ernst Schumacher und Theo Pirker bis zu Siegfried Braun und Arno Klönne - von der Jugendbewegung zur Friedens- und Arbeiterjugendbewegung öffnete.1 Und so war es kein Zufall, dass Arno Klönnes Warnung vor einer neuen Jugendromantik zur aktiven Opposition gegen die Wiederaufrüstung führte, die eine breite Basis in der jungen Generation fand. Aus diesem Bündnis entstand der von ihm mit Gerd Semmer und Dieter Süverkrüp gegründete „pläne“-Verlag. Deren Jugend-Zeitschrift und Schallplattenverlag prägte die frühen Ostermärsche und öffnete lange vor 1968 das Waldeck-Festival für Linkskulturelles. Mit Degenhardt, Wader, dem jüngst verstorbenen Walter Mossmann und vielen anderen war er auf der Burg Waldeck dabei, um über Pfingsten mit den Liederfestivals an die besseren Traditionen der oppositionellen Jugendbewegung zu erinnern und gelegentlich selbst zur Balalaika zu greifen.

Arno Klönne war ab 1960 mit Klaus Vack und Andreas Buro einer der Sprecher der Ostermarschbewegung. Sie erlangte über die „Kampagne für Abrüstung und Demokratie“ im Widerstand gegen die Notstandsgesetze einen weiteren Höhepunkt. Bis 2004 kritisches Mitglied der SPD stand Arno Klönne stets im Zentrum der APO, als Mitbegründer des „Sozialistischen Büros“ oder der Zweiwochenzeitschrift „Ossietzky“ ebenso wie als Autor von linken Zeitungen in Ost und West. Schon von schwerer Krankheit gezeichnet, verfasste er bis zu seinem Tode täglich mehrere Artikel und blieb auch in den Internet-Ausgaben von Telepolis präsent.2

Neben der Jugendbewegung und der Protestkultur galt Arno Klönnes besonderes Interesse der Politik und Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Jahrzehnte- lang gehörte ich zu seinen Begleitern in den von Konflikten bestimmten

1 Vgl. Irina Ploch-Harabacz: Die Zeitschrift Ende und Anfang. Ein Beitrag zur politisch-literarischen Kultur der Nachkriegszeit , ungedruckte Diss. Uni Bremen 1998.
2 Vgl. Karl A. Otto: Vom Ostermarsch zur APO, Frankfurt/Main 1977

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Veranstaltungen und Seminaren der Gewerkschaften, besonders nach der durch Peter von Oertzen, dem „letzten Marxisten in der SPD“, ausgelösten Kontroverse um die Marburger „Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung“. Klönne antwortete 1980 den Parteihistorikern in Ost und West mit einer Gesamtgeschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Er thematisiert darin die besonderen Entwicklungsbedingungen der deutschen Arbeiterbewegung im Vergleich zu den anderen, vornehmlich westeuropäischen Ländern und ließ auch die zu Wort kommen, die sich den Anpassungstendenzen an vorhandene Machtverhältnisse entgegenstellten und Alternativen zur Politik der Partei- und Gewerkschaftsführung herausarbeiteten. Mit der 1984 im VSA-Verlag vorgelegten Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung (zusammen mit Hartmut Reese) trug er dazu bei, den Blick nicht nur auf die Organisationen und Programmatiken zu lenken, sondern auch die gesellschaftspolitische Lage der Gewerkschaften und ihre Interessenvertretung in den Mittelpunkt zu stellen und an Aspekte der „anderen Arbeiterbewegung“ (Karl Heinz Roth, 1974) zu erinnern.3

Neben diesen beiden Grundlagenstudien verdanken wir dem Historiker Arno Klönne zwei weitere Standardwerke, das über die Hitlerjugend von 1955 und das mehrfach aufgelegte und stets überarbeitete Buch über die Jugendopposition in der NS-Zeit. „Gegen den Strom“ von 1958 gewährt uns einen Blick auf die Schülerbewegung der „Swing Jugend“ ebenso wie auf das jüdische „schwarze Fähnlein“ bis hin zu den „Edelweißpiraten“. Gruppierungen, die bei allem Zwang nicht zu Mitläufern des NS- Systems wurden, sondern gegen den Strom ankämpften. Damit erinnert Arno Klönne an ein Vermächtnis, von dem Widerstandskämpfer des Exils wie Klaus Mann oder KZ-Häftlinge wie Hermann Brill wenig erfahren hatten. So ging z. B. Brill auf Grund seiner Erfahrungen mit Jugendlichen in der NS-Zeit nach dem Krieg davon aus, dass man für den demokratischen Neuaufbau unter den Jugendlichen lediglich auf Menschen „zwischen 30 und 50 Jahren“ zurückgreifen könne. Die Jüngeren seien vom Nationalsozialismus vergiftet, die Älteren von den überkommenen Parteiideologien geprägt. Und in der „Begründung“ des Zehn-Punkte-Programms der Deutschen Volksfront von 1936 wollte Brill außerdem auf die langjährigen Genossen und Gewerkschafter verzichten, die ihre frühere Tätigkeit in der Deutschen Arbeitsfront (DAF) fortgesetzt hatten. Auch die „Taktik des trojanischen Pferdes“, die auf der Brüsseler Konferenz der KPD von 1935 beschlossene Unterwanderung der nationalsozialistischen Organisationen, wurde von ihm grundsätzlich abgelehnt.4

Arno Klönne, der den hessischen Staatssekretär und Bundestagsabgeordneten Brill noch aus seiner ersten beruflichen Tätigkeit als hessischer Landesjugendpfleger kannte, vermied als Hochschullehrer und Publizist solche prinzipiellen Ausgrenzungen, weil er als Student in Marburg beim Repräsentanten der sozialistischen Linken Wolfgang Abendroth und als wissenschaftlicher Mitarbeiter

3 Arno Klönne: Die deutsche Arbeiterbewegung. Geschichte Ziele Wirkungen, Köln 1980; derselbe: Die deutsche Gewerkschaftsbewegung. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Hamburg 1984.
4 Vgl. Jörg Wollenberg: Volksfront und Sozialdemokratie. Die Widerstandsgruppe Brass-Brill und das Zehn Punkte-Programm der Deutschen Volksfront von 1936, in: Renate Knigge-Tesche/ Peter Reif- Spirek (Hrsg.): Hermann Brill 1895-1959, Wiesbaden 2011, S.77-130.

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des ehemaligen dienstwilligen NS-Hochschullehrers Helmut Schelsky in Münster gelernt hatte, auch auf Lernprozesse bei denen zu setzen, die noch ermutigt werden mussten, um den Weg zur Demokratie zu finden. Sie galt es dafür zu gewinnen, in den Parteien oder über die außerparlamentarische Opposition gegen Ausgrenzungen und Diffamierungen ebenso einzuschreiten wie gegen jede Form des Militarismus und des Deutschnationalismus.

Arno Klönne gehörte zu den Repräsentanten, die in Zeiten politischer Veränderungen nach 1945 für den Neuaufbau linker demokratischer Bewegungen in Deutschland eintraten. Aber sie scheiterten an den inneren Widersprüchen, Dis- kontinuitäten und Brüchen zwischen den bürgerlichen Demokratiebewegungen und dem sozialistischen Lager. Damit gingen auch jene Vorstellungen einer europäischen Friedensordnung nach dem Zweiten Weltkrieg verloren, die exemplarisch von Hermann Brill und seinen Mitstreitern im April 1945 als »Buchenwalder Manifest der demokratischen Sozialisten: Für Freiheit, Frieden, Sozialismus« formuliert wurden. Sie plädierten für den Ausbau von Bürger – und Menschenrechten, für eine Revision des überkommenen Politikverständnisses, für einen politisch-kulturellen Modernisierungsschub, der Deutschlands zukünftige europaweite und weltpolitische Rolle als Mitglied der „Weltorganisation des Friedens“ berücksichtigt – und das „im engsten Einvernehmen mit Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken“ und in „Zusammenarbeit mit allen sozialistisch geführten Staaten in einer europäischen Staatengemeinschaft“. So das von 44 Kommunisten und Sozialisten unterschrieben Buchenwalder Manifest vom 13. April 1945, das weit weniger bekannt ist als der Schwur auf der Trauerkundgebung des Lagers Buchenwald vom 19. April 1945.5 Zum gleichen Zeitpunkt arbeitete Willy Brandt im schwedischen Exil mit Stephan Szende, August Enderle und Fritz Bauer, unterstützt von Gunnar Myrdal, Bruno Kreisky und anderen Emigranten, an den »Friedenszielen der demokratischen Sozialisten«6. Alle diese Visionen einer neuen »Gesellschaftsrevolution« als Fundament der Demokratie bleiben vor dem Hintergrund der leidvollen Erfahrungen der beiden Weltkriege dadurch geprägt, dass sie den Begriff der Nation selbst zur Diskussion stellen, mit dem so viel Missbrauch getrieben wurde: »Europas Krankheit ist der Nationalismus« (Willy Brandt). Auch Arno Klönne mahnte immer wieder vor den Gefahren des Deutschnationalismus, des „nationalen Sozialismus“ von rechts und links, vor dem „Zurück zur Nation“. So der Buchtitel seines wieder aktuellen Essay-Bandes von 1984. Und es ist kein Zufall, dass er bei dem politischen Freund von Brill, bei Wolfgang Abendroth 1955 mit einer Arbeit über die Hitlerjugend promoviert wurde und seine zweite Studie über den Jugendwiderstand im Dritten Reich in Anlehnung an die 1946 vorgelegte Aufsatzsammlung von Brill mit „Gegen den Strom“ betitelte.

5 Buchenwalder Manifest vom 13. April 1945, zitiert nach Brill, Gegen den Strom, 1946, S.100, unterschrieben von 44 Sozialdemokraten und Kommunisten aus Deutschland, Österreich, Niederlande, Belgien, CSR und dem Saarland.
6 Vgl. Klaus Misgeld: Die „Internationale Gruppe demokratischer Sozialisten“ in Stockholm 1942-1945, Bonn 1976

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Und vergessen wir nicht darauf hinzuweisen: Auch seinen ersten Lehrstuhl an der PH in Göttingen in den 1960er Jahren verdankte Arno Klönne einer Initiative von Hermann Brill. Denn Brill trug ab 1952 dazu bei, dass nach der überbordenden „Amnestie-Kampagne“ und der Unterwanderung der FDP durch Alt-Nazis (der „Gauleiterverschwörung“)7 die Westalliierten von ihrem Vorbehaltsrecht Gebrauch machten und die Adenauer-Regierung über den britischen Hochkommissar aufforderten, an den westdeutschen Hochschulen Lehrstühle für politische Wissenschaften einzurichten. Schon zuvor war Brill 1950 daran beteiligt, zusammen mit dem damaligen Bundesinnenminister Gustav Heinemann die Einrichtung des Münchener Instituts für Zeitgeschichte durchzusetzen. Er gehörte seit 1947 zum Gründungskuratorium und trug dazu bei, dass mit Anna Siemsen und Eugen Kogon zwei Vertreter des Widerstands in den wissenschaftlichen Beirat berufen wurden8. Seine Initiativen verhalfen den bis dahin ausgegrenzten linken Repräsentanten des Exils wie Ossip Flechtheim, Franz Leopold Neumann, Fritz Eberhard, Siegfried Landshut, Richard Löwenthal verspätet zu Lehrstühlen in der BRD - ebenso wie den Außenseiter der Zunft von Eugen Kogon bis zu Hans Heinz Holz, von Wolfgang Abendroth über Heinz-Joachim Heydorn bis hin zu Arno Klönne.

Die drei letztgenannten gehörten 1967 zu den Einberufern der Konferenz „Probleme des Widerstandes und der Verfolgung im Dritten Reich im Spiegel der Schulbücher und des Unterrichts“, auf der sich der Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945 gründete. Die von Klönne initiierte Erforschung der Lebenswelten junger Menschen im Nationalsozialismus ist seitdem ein wichtiges Element der Arbeit des Studienkreises, so z.B. zuletzt bei der Ausstellung „Es lebe die Freiheit! Junge Menschen gegen den Nationalsozialismus“ zu deren Begleitkatalog Arno Klönne einen Beitrag verfasst hat.

Der Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945 dankt dem Autor diesen Beitrag auf seine Internetseite stellen zu dürfen. Mehr Informationen zum Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945, seinem Dokumentationsarchiv, seinen Ausstellungen und Publikationen finden Sie unter http://www.widerstand-1933-1945.de

7 Vgl. Ulrich Herbert: Best, 1996, S.461-476.
8 Vgl. Dietfrid Krause-Vilmar: Hermann Brill und die Gründung des Instituts für Zeitgeschichte, in: Knigge-Tesche/Reif-Spirek, 2011, S.191-200.

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