Gedenkstättenwegweiser S-H erschienen
In Schleswig-Holstein wird an vielen Orten an die Herrschaft und Verbrechen des Nationalsozialismus erinnert. Die meisten dieser Orte sind authentisch, denn sie sind dort eingerichtet, wo die Nazis ihre Gräuel verübt haben, beispielsweise in den ehemaligen Konzentrationslagern. Die Gedenkstätten, Erinnerungs-und Lernorte führen die Besucherinnen und Besucher zurück in eine Zeit, die mehr als 75 Jahre zurückliegt, aber untrennbar mit der heutigen politischen Struktur Deutschlands verbunden ist. Sie dokumentieren das Schicksal der Opfer der NS-Diktatur ebenso wie die Biografien der Täter und berichten über die Geschichte der schwierigen Auseinandersetzung mit der Zeit des „Dritten Reiches“.
Die Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten BGSH hat nun erstmals eine ausführliche Übersicht zu den hiesigen Erinnerungsorten vorgelegt. Karin Prien, Kulturministerin in Schleswig-Holstein und Stiftungsratsvorsitzende verweist auf den besonderen Wert des neuen Gedenkstätten-Wegweisers: „Wir haben gerade in den vergangenen Jahren – als sich erst das Ende des Ersten Weltkriegs zum hundertsten Mal jährte, wir 2019 dem Anfang und 2020 dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der deutschen Einheit gedachten – wieder festgestellt, wie wichtig eine Erinnerungskultur an authentischen Orten ist."
Der Wegweiser lädt in die Gedenkstätten ein, den Orten, an denen der NS-Terror stattgefunden hat. "Es gehört zu unserer gemeinsamen Pflicht gerade in Zeiten, in denen wir uns leider wieder mit Antisemitismus und Rechtsextremismus beschäftigen müssen, dass wir diese Zeit des Schreckens nicht vergessen dürfen. Wir müssen jungen Menschen vermitteln, welche Macht und welche menschlichen Schicksale sich hinter jedem Terror-Regime verbergen“, sagte Karin Prien. „Diese Übersicht zu den Erinnerungsorten mit Bildungsangeboten in Schleswig-Holstein ist ein wichtiger Schritt in der Entwicklung der Gedenkstätten“, sagt Professor Gerhard Fouquet, Vorsitzender des Vorstands der BGSH. "Mit dieser Publikation hoffen wir, die öffentliche Wahrnehmung dieser für unser Land so wichtigen Orte der historisch politischen Bildung nachhaltig zu verstärken und möglichst viele Menschen dafür zu interessieren“, sagt Fouquet.
Der Wegweiser führt zu Gedenkstätten und Erinnerungsorten und damit zu ehemaligen KZs wie Ahrensbök, Glückstadt, Ladelund, Nützen, Schwesing, Wedel. Viele Bürgerinnen und Bürger wissen bis heute nicht, dass das NS-Regime direkt vor den Haustüren der Einwohnerinnen und Einwohnern Konzentrationslager bauten. Vereine und Initiativen und auch Kreise und Kommunen tragen die Einrichtungen, in denen Ehrenamtliche und Hauptamtliche arbeiten und Geschichten sehr unterschiedlicher Orte und Leidenswege erzählen und vermitteln.
Gedenkstätten und Erinnerungsorte zur Geschichte des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein, 114 Seiten, erhältlich für fünf Euro über die Geschäftsstelle der Bürgerstiftung, und unter anderem bei der Gedenkstätte Gudendorf bzw. der Initiative "Blumen für Gudendorf".
Gedenkstätte Gudendorf im Corona-Jahr 2020
„Lichter gegen Dunkelheit“ in Gudendorf
Am 75. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz (27. Januar 1945) beteiligte sich auch die Initiative Blumen für Gudendorf an der bundesweiten Aktion „Lichter gegen Dunkelheit“. Die Initiative wollte einerseits die Erinnerung an die hier in Gudendorf verstorbenen Kriegsgefangenen aus der ehemaligen Sowjetunion wachhalten und zugleich ein Zeichen setzen für Menschlichkeit und Demokratie und gegen Ausgrenzung, Faschismus und Menschenfeindlichkeit. Die Gudendorfer Initiative hatte Ihre Aktion unter das Motto gestellt: „Das Schicksal sowjetischer Kriegsgefangener beleuchten“. Bei Einbruch der Dunkelheit tauchten etwa hundert Kerzen und Teelichter die Gedenkstätte Gudendorf in ein beeindruckendes stimmungsvolles Licht. Überraschend für die Initiative war die hohe Beteiligung – vor allem auch Jugendlicher - aus Gudendorf und Umgebung und veranlasste den Gudendorfer Bürgermeister Werner Höfs zu der Äußerung: „Dass so viele Menschen hier und heute zusammengekommen sind, ist einfach schön und eindrucksvoll. So etwas hat es hier noch nie gegeben.“ Pastor i.R. Dr. Dietrich Stein erläuterte: „Wir machen das, um ein Zeichen zu setzen. Gerade in der heutigen Zeit ist es wichtig, für Demokratie und Menschlichkeit und gegen Rechtspopulisten wie Trump, Orbán oder wen auch immer einzutreten.“ Benno Stahn mahnte stellvertretend für die Initiative: „Wir sind es den Opfern von Gudendorf schuldig, uns für ein freundschaftliches Verhältnis mit Russland einzusetzen.“ Höhepunkt der Gedenkveranstaltung war eine von Schülern der Meldorfer Gemeinschaftsschule vorbereitete Lesung: Sie trugen aus den recherchierten Biografien von in Gudendorf verstorbenen Lagerinsassen vor und beleuchteten damit einmal mehr das Schicksal sowjetischer Kriegsgefangener.
Die Gedenkstätte Gudendorf war am 27. Januar 2020 stimmungsvoll beleuchtet. Foto: G. Orth
Stilles Gedenken am 9. Mai in Gudendorf
Wegen der Corona-Pandemie gab es in diesem Jahr (2020) keine offizielle Veranstaltung an der Gudendorfer Gedenkstätte für die sowjetischen Kriegsgefangenen. Mitglieder der Initiative „Blumen für Gudendorf“ waren trotzdem gekommen, um in Stille Blumen niederzulegen. Andere kamen dazu, wie eine Familie aus Kiel-Elmschenhagen und eine Aussiedlerfamilie. Die in der Umgebung lebenden Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion und ihren Nachfolgerstaaten wie der Russischen Föderation suchten die Gedenkstätte auf, weil ihnen der Tag der Befreiung vom Faschismus dazu ein wichtiger Anlass ist, verbunden mit dem persönlichen Gedenken an die Toten.
Sie hatten sich angemeldet und waren trotz Absage der offiziellen Veranstaltung gekommen: Siegfried Assmann und seine Tochter Stefanie Assmann-Och aus Großhansdorf. Der jetzt
95jährige hatte 1962 die im Zentrum der Anlage stehende hohe Stele entworfen und verwirklicht. Die in die Stele integrierte Bronzeskulptur stellt Charon dar, der in seinem Nachen eine Mutter mit ihrem toten Sohn über den Styx ins Totenreich fährt. Assmann gelang seinerzeit mit dieser Stele sein Durchbruch als bildender Künstler, der bis heute noch tätig ist. Ihm war es schon lange ein Anliegen, einmal wieder nach Gudendorf zu kommen und auch Mitglieder der Initiative kennenzulernen. Die Denkmäler allein reichen nicht, wie er
sagte, es braucht die Menschen dazu, die sich für ein lebendiges Erinnern und gegenwärtiges Mahnen einsetzen.
8. Mai 1945 - 75. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus: Mit Bildern und Texten in deutscher und russischer Sprache erinnerten Mitglieder der Initiative an diesen besonderen Tag, der inzwischen auch in Schleswig-Holstein zum offiziellen Gedenktag erklärt wurde. Die Tafeln mit den Namen von toten sowjetischen Kriegsgefangenen, die hier – und in der Umgebung – ruhen, sehen Viele als Verpflichtung, sich dafür zu engagieren.
Am 9. Mai in Gudendorf. Es war ganz anders als sonst, es war da aber ebenso eine Atmosphäre der Solidarität mit den Toten und es wurde ein Zeichen gesetzt für Frieden und Menschlichkeit weltweit.
Überraschend für die Mitglieder der Gudendorf-Initiative hatte sich der Künstler der Stele (Hintergrund) Siegfried Assmann (Mitte) zu der stillen Gedenkstunde am 9. Mai eingefunden. Foto: D. Stein
Ein Denkmal für das Mahnmal
Seit Anfang des Jahres arbeitet die Meldorfer Lehrerin und Fachberaterin Kulturelle Bildung im Kreis Dithmarschen, Karola Koch, in der Initiative Blumen für Gudendorf mit. Vor ihr erhoffen sich die Initiativenmitglieder einen besseren Zugang zu Schulen. Mit Ihrer Klasse will sie die Idee eines ergänzenden Denkmals im Bereich des Mahnmals für Kriegsgefangene aus der Sowjetunion realisieren. Künstlerische Unterstützung hat sich Karola Koch bei dem Dithmarscher Künstler Frank Speth geholt. Seine Idee ist, dass das Denkmal wegweisend zum Mahnmal hinführt.
Das Wort Denkmal selbst soll als Skulptur dargestellt werden. Die Denkanregungen der Schüler würden die Doppeldeutigkeit des Wortes noch betonen und die Art der Skulptur die tiefere Bedeutung des Begriffes eines Denkmales ausdrücken, so Speth. Die Buchstaben würden in einer Höhe von fast zwei Metern dreidimensional emporragen. Das Denkmal in der Form eines Bootes wird von einem Granitsockel getragen.
Bereits zur nächsten geplanten Gedenkveranstaltung im Mai 2021 soll das Denkmal der Öffentlichkeit übergeben werden. Die Kosten des Denkmals sind vollständig aus verschiedenen schulischen und kulturellen Töpfen gedeckt.
Offfener Brief von Esther Bejarano
Esther Bejarano schreibt einen offenen Brief an den Bundesminister der Finanzen 25. November 2019
Sehr geehrter Herr Minister Scholz,
seit 2008 bin ich die Ehrenvorsitzende der VVN–BdA, der gemeinnützigen Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, gegründet 1947 von Überlebenden der Konzentrationslager und NS-Verfolgten. Die Arbeit der Antifa, die Arbeit antifaschistischer Vereinigungen ist heute – immer noch – bitter nötig. Für uns Überlebende ist es unerträglich, wenn heute wieder Naziparolen gebrüllt, wenn jüdische Menschen und Synagogen angegriffen werden, wenn Menschen durch die Straßen gejagt und bedroht werden, wenn Todeslisten kursieren und extreme Rechte nicht mal mehr vor Angriffen gegen Vertreter des Staates zurückschrecken.
Wohin steuert die Bundesrepublik?
Das Haus brennt – und Sie sperren die Feuerwehr aus!, wollen der größten und ältesten antifaschistischen Vereinigung im Land die Arbeit unmöglich machen? Diese Abwertung unserer Arbeit ist eine schwere Kränkung für uns alle.
"Die Bundesrepublik ist ein anderes, besseres Deutschland geworden", hatten mir Freunde versichert, bevor ich vor fast 60 Jahren mit meiner Familie aus Israel nach Deutschland zurückgekehrt bin. Alten und neuen Nazis bin ich hier trotzdem begegnet. Aber hier habe ich verlässliche Freunde gefunden, Menschen, die im Widerstand gegen den NS gekämpft haben, die Antifaschistinnen und Antifaschisten. Nur ihnen konnte ich vertrauen.
Wir Überlebende der Shoah sind die unbequemen Mahner, aber wir haben unsere Hoffnung auf eine bessere und friedliche Welt nicht verloren. Dafür brauchen wir und die vielen, die denken wie wir, Hilfe! Wir brauchen Organisationen, die diese Arbeit unterstützen und koordinieren.
Nie habe ich mir vorstellen können, dass die Gemeinnützigkeit unserer Arbeit angezweifelt oder uns abgesprochen werden könnte! Dass ich das heute erleben muss! Haben diejenigen schon gewonnen, die die Geschichte unseres Landes verfälschen wollen, die sie umschreiben und überschreiben wollen? Die von Gedenkstätten 'als Denkmal der Schande' sprechen und den NS-Staat und seine Mordmaschine als 'Vogelschiss in deutscher Geschichte' bezeichnen?
In den vergangenen Jahrzehnten habe ich viele Auszeichnungen und Ehrungen erhalten, jetzt gerade wieder vom Hamburger Senat eine Ehrendenkmünze in Gold. Mein zweites Bundesverdienstkreuz, das Große, haben Sie mir im Jahr 2012 persönlich feierlich überreicht, eine Ehrung für hervorragende Verdienste um das Gemeinwohl, hieß es da. 2008 schon hatte der Bundespräsident mir das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse angeheftet. Darüber freue ich mich, denn jede einzelne Ehrung steht für Anerkennung meiner – unserer – Arbeit gegen das Vergessen, für ein "Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus", für unseren Kampf gegen alte und neue Nazis.
Wer aber Medaillen an Shoah-Überlebende vergibt, übernimmt auch eine Verpflichtung. Eine Verpflichtung für das gemeinsame NIE WIEDER, das unserer Arbeit zugrunde liegt.
Und nun frage ich Sie:
Was kann gemeinnütziger sein, als diesen Kampf zu führen?
Entscheidet hierzulande tatsächlich eine Steuerbehörde über die Existenzmöglichkeit einer Vereinigung von Überlebenden der Naziverbrechen?
Als zuständiger Minister der Finanzen fordere ich Sie auf, alles zu tun, um diese unsägliche, ungerechte Entscheidung der Aberkennung der Gemeinnützigkeit der Arbeit der VVN–BdA rückgängig zu machen und entsprechende Gesetzesänderungen vorzuschlagen.
Wir Überlebenden haben einen Auftrag zu erfüllen, der uns von den Millionen in den Konzentrationslagern und NS-Gefängnissen Ermordeten und Gequälten erteilt wurde. Dabei helfen uns viele Freundinnen und Freunde, die Antifaschistinnen und Antifaschisten – aus Liebe zur Menschheit! Lassen Sie nicht zu, dass diese Arbeit durch zusätzliche Steuerbelastungen noch weiter erschwert wird.
Mit freundlichen Grüßen
Esther Bejarano
Vorsitzende
Auschwitz-Komitee in der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Ehrenvorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes –
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten
Gemeinnützigkeit VVN-BdA
Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit für die VVN- BdA ist - wie schon zuvor bei Attac und Campact - der Versuch, linkes und bürgerschaftliches Engagement finanziell auszutrocknen und damit politisch handlungsunfähig zu machen. Das dürfen wir nicht unwidersprochen hinnehmen, zumal es auch andere gemeinnützig tätige Organisationen und Vereine treffen kann.
Trauer um Günther Wilke
Trauer um Günther Wilke
Günther war Gründungsmitglied der Initiative Blumen für Gudendorf (Gedenkstätte Gudendorf) und lebte in Wedel. Der verdiente Journalist und Chronist setzte sich als aufrechter Kommunist und Antifaschist ein für die Aufarbeitung der NS-Gewaltherrschaft. Ihm war dauerhafter Frieden Herzensangelegenheit, besonders zwischen Deutschland und Russland. Wir trauern mit seiner Frau Marianne und der ganzen Familie. Wir vermissen Günther, seine Toleranz und freundschaftstiftende ruhig-sachliche Art, seinen Einsatz für Menschenwürde und Menschlichkeit.
Für die Initiative: Benno Stahn und Gundel Orth, Bernd Frohböse, Georg Gerchen, Werner und Ingrid Höfs, Irmgard und Wolfram Jasker, Jan Rambke, Hans Starp, Dieter und Martina Stein, Jens und Anneliese Thomsen, Gerd Wohlenberg